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Suffizienz: Eines von drei Nachhaltigkeitsprinzipien … und doch viel mehr

Sogenannte Effizienz- und Konsistenzstrategien versuchen unsere Ressourcen besser und umweltfreundlicher zu nutzen: Ein Unternehmen, das aufgewärmtes Kühlwasser etwa zum Heizen nutzt, ist effizienter. Eine Druckerei, die ihre Produktion auf Recyclingpapier umstellt, hält dadurch die Rohstoffe länger, konsistenter im Kreislauf. Solche Strategien sind sehr nützlich und notwendig, sie reduzieren aber nicht den eigentlichen Ressourcenverbrauch. Tatsächlich führt so manche effiziente Lösung unterm Strich sogar zu mehr Verbrauch. Nehmen wir Energiesparlampen, die aufgrund des geringeren Stromverbrauchs schlicht den ganzen Tag brennen (Rebound-Effekt).*

Umweltverträgliche Technik und Produktion alleine kann unseren Planeten also nicht retten.

Ein ergänzendes Prinzip der Nachhaltigkeit bringt daher den Suffizienzgedanken ins Spiel. Suffizienz bedeutet „genügen“ oder „ausreichen“ und richtet sich an unser Konsumverhalten, unseren Verbrauch: Im Privaten handeln wir schon oft „suffizienter“, wenn wir möglichst wenig Essen wegwerfen und einen Joghurt auch nach dem Verfallsdatum noch essen. Oder wenn wir uns ein Buch in der Bücherei ausleihen, anstatt es zu kaufen; die Heizung runter drehen, die Lampe ausmachen oder unsere Säge dem Nachbarn leihen...

Wir produzieren und verbrauchen dadurch insgesamt weniger.

Genügsamkeit statt Verzicht

Doch Suffizienz reicht viel weiter: Sie beschreibt auch die Suche nach dem „genügenden Mass“, der Annahme eines reduktiven Lebensstils und beginnt mit dem Hinterfragen von Gewohnheiten und gesellschaftlichen Normen. Hier wird es deutlich: Suffizienz ist mehr als eine technologische Innovation oder ein angepasster Produktionsprozess. Sie ist auch ein neues Narrativ für ein gutes Leben. Mit einem Bewusstsein für Qualität, einer Wertschätzung für das „Wenige“, aber mit mehr Genuss, Achtsamkeit und Entschleunigung. Eben Genügsamkeit statt Verzicht.

Was darunter genau zu verstehen ist, hat Wolfgang Sachs, Club of Rome Mitglied und Vordenker der Suffizienzidee, bereits 1993 in den 4 E’s der Suffizienz formuliert:

  • Entrümpelung: Vereinfachung –Weniger ist mehr: Reduktion des Konsums, besser leihen als kaufen, besser weniger als zu viel.
  • Entschleunigung: Langsamere zuverlässigere Lebensweise, verändertes Bewusstsein für das Umfeld. Ein Urlaub zu Fuß oder mit dem Fahrrad schafft intensivere Eindrücke, als mit dem Flugzeug.
  • Entkommerzialisierung: Effektivität jenseits des Marktes – Selbermachen, Selbstverwirklichen. Dem Leben außerhalb von „Kaufen und Besitzen“ mehr Bedeutung geben. Ein gutes Gespräch, ein repariertes Fahrrad offenbart mehr positive Erlebnisse als der Klick auf den Amazon-Button.
  • Entflechtung: Regionalisierung, Übersichtlichkeit, Nähe. Das Lokale wertschätzen, Lieferwege verstehen, Freizeitgestaltung vor Ort planen.

Vereinfacht ausgedrückt: Orientiert man sich in seiner Lebensgestaltung an den vier Tugenden:  vermeiden, reduzieren, reparieren und regionalisieren, lebt man nicht nur suffizienter, sondern hat auch gute Chancen zufriedener, glücklicher und sinnerfüllter zu sein.

„Wir kaufen Dinge, die wir nicht brauchen, von Geld, was wir nicht haben, um Eindrücke, die nicht von Dauer sind, bei Leuten zu hinterlassen, die wir eigentlich gar nicht mögen.“ Tim Jackson

 

Suffizienz am Beispiel von Plastik

Der Swiss Litter Report (www.stoppp.org) hat es uns vor Augen geführt: Die Schweizer Gewässer und Böden liegen voll mit Müll. Ungefähr 65% davon sind Plastik; meistens von Verpackungen. Doch selbst, wenn wir unseren Müll sorgfältig trennen und die Plastikverpackung im Kuh-Bag landet, wird schweiz- und weltweit immer mehr Plastik produziert. Wohin das führt, kann man in Dokumentationen wie „Plastic Planet“ oder  „STR-F – Plastikmüll von Nestlé und Co.“ eindrücklich erleben.**

Aufgrund der schieren Menge und der verheerenden Folgen von Plastikmüll, macht es also durchaus Sinn, den eigenen Umgang mit Plastik genauer unter die Lupe zu nehmen. Dazu ein Beispiel:

Jeder kennt sie, die Salatbowls vom Discounter. Zmittag schnell geholt, mit Salat, Sauce und Besteck...soooo gesund und praktisch. Wie sieht der Plastiscore aus? Da alles einzeln verpackt ist, kommt man mit Besteck schnell auf 6 Teile Plastik.

Wenden wir nun das Prinzip Suffizienz auf unsere Salatbowl an: Ich fahre mit dem Velo auf den Markt, unterhalte mich dort nett mit der Bäuerin über ihre regionalen Produkte und lerne gleichzeitig etwas über deren Anbau und die Produktion. Alles, was ich für meine Salatbowl brauche, bekomme ich dort. Zuhause wird alles gewaschen und für den nächsten Tag in Gläser und Transportschüsseln, mit meinem Besteck „to go“ vorbereitet.

Das Ergebnis: Plastik vermieden, regional eingekauft, Verpackung und Gefäße wiederverwendet, tolle, interessante Gespräche geführt. Die Genügsamkeit führte also nicht zu Verzicht, sondern vielmehr zu einer guten, sinnerfüllten Zeit und weniger Plastikmüll.

Die GWÖ unterstützt auch dieses Jahr das Projekt „Plastikfasten“ mit Workshops und Webinaren. Und vom 21. bis 27. Juni 2021 wird die inzwischen dritte Plastikfastenwoche durchgeführt. Weitere Impulse für ein suffizienteres Leben findest Du unter www.plastikfasten.ch

Diesen Beitrag zu unserem Monatsthema im Mai "Verzicht - oder Bereicherung" schrieb Dr. Sven Werkmann

*Quelle: BUND (20217) Ein gutes Leben für alle! Eine Einführung in Suffizienz https://www.bund-bawue.de/fileadmin/bawue/Dokumente/Themen/Nachhaltigkeit/Suffizienz_Gutes_Leben_fuer_Alle_web.pdf

**Quellen zu den Filmen

https://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/filmbildung/189230/plastic-planet

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Artikel zum Download: Suffizienz-Sven-Werkmann